In der Lücke, die das zerstörte Kirchenschiff der alten Lutherkirche in Köln-Mülheim gelassen hatte, entstand ein ungewöhnlicher Bau, der alt und neu ästhetisch verbindet. Ein spezielles gestaltetes Dach macht das Gebäude so schlicht wie einzigartig.
Mitten in Köln-Mülheim steht der denkmalgeschützte Lutherturm – das letzte Überbleibsel eines 1895 erbauten Kirchengebäudes. Das Hauptschiff wurde durch Bomben im zweiten Weltkrieg zerstört. Die Lücke, die unausgefüllt blieb, wurde zur Mahnung. Auch die Luthernotkirche wurde nicht direkt auf dem Gelände, sondern etwas abseits errichtet. Um das Gelände herum drehte sich die Welt weiter, doch die Lücke zwischen Turm und Notkirche blieb mitten im sich verändernden Stadtbild über Jahrzehnte bestehen.
Um der brach liegenden Fläche einen neuen Nutzen zu geben, wurden bereits über mehrere Jahre Pläne entwickelt. Die Kirchengemeinde als Eigentümer hatte unzählige Varianten durchgespielt. Doch der Wunsch, auch weiterhin Einfluss auf die Nutzung des Areals zu haben, brachte die Gemeinde schließlich dazu, selbst als Bauherr aufzutreten. Mit einem sensibel geplanten Bauvorhaben wurde die Lücke nun geschlossen.
Eingliederndes Architekturkonzept
Der Wunsch zusätzliche Flächen zu schaffen, ohne die Wirkung und Bedeutung des Geländes zu beeinträchtigen, wurde mit den Plänen des beauftragten Architekturbüros erfüllt. Für den Neubau wählten die Architekten eine einfache Formensprache. Ein Gebäude mit rechteckigem Grundriss und Satteldach nimmt jetzt den Platz des einstigen Kirchenschiffes ein, das an dieser Stelle bis zum zweiten Weltkrieg stand. In dem viergeschossigen Wohn- und Geschäftsgebäude finden 17 Wohnungen und vier Gewerbeeinheiten Platz.
Transparent und zurückhaltend sollte die Gebäudehülle wirken. Die Gestaltung der Fassade und die Form der Fenster orientieren sich deshalb an den Farben und Formen des Lutherturms, ohne dabei zu stark zu kopieren. Schmale, hohe Fenster dominieren die Fassade des Neubaus und geben dem Baukörper im Zusammenspiel mit großzügigen Loggien seinen eigenen Rhythmus. Eine Verbindung zu dem alten Turm schafft ein gläserner Treppentrakt. Er ist Bindeglied und Trennkörper zwischen Alt- und Neubau zugleich, und verdeutlicht so nochmals die verschiedenen Bauphasen der beiden Ensembleteile.
Dem Turm selbst wurde ebenfalls neues Leben eingehaucht. Büros und Ateliers schaffen in den historischen Gemäuern nun Raum für Kreativität. Nicht zuletzt dafür zuständig war Zimmerer Marco Greis. Mit seinem Team zog er zwei neue Ebenen in den Turm ein, erneuerte die Schalllamellen und schuf so zusätzlich nutzbare Fläche. Außerdem zeichnete der Holzbauerbetrieb auch verantwortlich für die Konstruktion des Dachs auf dem Neubau. Diese stellte die Holzprofis jedoch zunächst vor ein Hindernis: „Als wir in das Projekt eingestiegen sind, war die Planung und Vorfertigung schon recht weit fortgeschritten. Auch der Abbund lag daher nicht in unseren Händen. Statisch gesehen ist die Dachkonstruktion ein Widerlagerdach mit Mittelpfette. Das Widerlager war aufgrund des Elementstoßes im Traufbereich etwas aufwendiger gestaltet. Da es vorbetoniert wurde, war es, wie bereits erwartet, nicht ganz passgenau.“ Mit kleineren Nacharbeiten konnte dieses Problem jedoch behoben werden. Das neue Gebäude schafft zudem vollkommen neue Rahmenbedingungen für die Außenraumgestaltung: Die Architekten räumten der Begrünung des Areals viel Platz ein, um eine hohe Aufenthaltsqualität in der Großstadt zu schaffen. Das Außengelände und der Vorplatz bilden nun mit dem westlich gelegenen Platz eine attraktive, durchgängig begrünte Fläche.
Das neue Gebäude neben dem Lutherturm passt sich farblich an den Turm an und wirkt in seiner Architektur zurückhaltend schlicht und modern.
Die gelb-grau geflammten Ziegel wirken von weitem wie eine nicht ganz ebene Fläche, angelehnt an die Dachziegeloberflächen auf historischen Gebäuden
Neuer Raum auf alter Fläche: Wo einst das Kirchenschiff der Lutherkirche in Köln-Mülheim stand, bietet ein neues Gebäude Platz für vier Gewerbeeinheiten sowie 17 Wohnungen
Besonderes Augenmerk lag auf dem Satteldach: Um in das Farbkonzept der Architekten zu passen, wurden die Ziegel mit einer speziellen Engobe sonderangefertigt.
Auch die Schieferdächer am 1895 gebauten Lutherturms wurden neu eingedeckt.
Ungewöhnliche Farbe für ein gewöhnliches Dach
Nicht nur die Farbe der Fassade wurde auf den Lutherturm abgestimmt. Auch die Eindeckung des Standard-Satteldaches wurde mit besonderem Augenmerk geplant. Die Wahl der Dachziegel auf dem Neubau ist ein historischer Verweis und passt sich gleichzeitig der Sandstein-Fassade an. Die gelb-graue Oberfläche wirkt von der Ferne wie eine nicht ganz ebene Fläche, entsprechend den Dachziegeloberflächen auf historischen Gebäuden. Die spezielle Farbgebung ist eine Sonderanfertigung, die in enger Abstimmung zwischen Architekturbüro und dem Hersteller Creaton entstanden ist. Rund 800 m² dieser Sonderanfertigung genannt „Creaton Domino grau-gelb geflammt“ verbauten die Dachdecker auf dem Gebäude. Der geflammte Effekt entsteht durch den Auftrag einer fein abgestimmten Engobe, die vor dem Brennvorgang mit einem feinen Sprühnebel aufgebracht wird. Nach dem Brennprozess wird dann das geflammte Muster sichtbar. Bis die Spezialisten bei Creaton genau den richtigen Farbton getroffen hatten, brauchte es mehrere Brennversuche mit variierenden Engoben. Doch schließlich war der perfekte Farbton gefunden. Diesem passen sich auch die extra angefertigten Firstziegel an. Da die Dachdurchdringungen für Lüftungsanlagen einen Durchmesser von DN 200 aufweisen mussten und so nicht als Standardmaterial zur Verfügung standen, bedurfte es hier ebenfalls einer Sonderanfertigung. Doch die Creaton-Spezialisten meisterten auch diese Herausforderung. So entstand ein großformatiger und doch schlichter Baukörper, der durch seine außergewöhnlichen Materialien punktet und sich sanft in seine Umgebung einpasst.
Das beauftragte Dachdeckerunternehmen und die Architekten arbeiten bereits mehrere Jahre zusammen: „Wir haben mit dem Architekturbüro schon viele Bauvorhaben gemeinsam verwirklicht“, berichtet der Dachdeckermeister Reinhard Esser. Die Abstimmungen zum Dach des neuen Gebäudes verliefen daher problemlos. Das Unternehmen „Friedhelm Esser Bedachungen“ mit Sitz in Mönchengladbach ist häufig mit Projekten aus den Bereichen Wohnungsbau, Kirchenbau oder Pflege- und Betreuungseinrichtungen betraut. Insofern hatte die Dacheindeckung des großformatigen Wohnbaus an der Stelle eines früheren Kirchenschiffs für das Unternehmen Ähnlichkeit zu seinen üblichen Projekten. „Sämtliche Detailfragen waren bereits im Vorhinein geklärt, da es sich ja insgesamt um eine historische Bausubstanz handelt“, führt der Dachdecker aus. Neben der Eindeckung des Neubaus widmete sich sein Team auch um den historischen Turm: Die Schiefereindeckung war in die Jahre gekommen und wurde erneuert. „Beim Projekt Lutherturm war die Herausforderung an Hersteller und Handwerker, den Denkmalschutz und die Moderne an diesem Objekt unter einen Hut zu bekommen. Insbesondere die Diversen Details an dieser Dachfläche wie Loggia, Fenster und Durchdringungen waren mit einigen Überlegungen verbunden. Nach meiner Meinung ist mit Planern und Industrie und dem Handwerk diese Herausforderung allen gerecht geworden und man kann hier von einer harmonischen Einbindung des neuen Daches an den Bestand Lutherturm sprechen“, resümiert der Dachdecker das stadthistorisch bedeutsame Projekt.
Steckbrief
Objekt/Standort
Wohn- und Geschäftshaus Lutherturm
51063 Köln-Mühlheim
Bauzeit
09/2019 – 10/2019
Zimmerer
Holzbau Marco Greis
51069 Köln
Architekten
Maier Architekten
51063 Köln
www.maier-architekten-koeln.de
Dachdecker
Friedhelm Esser Bedachungs-GmbH
41238 Mönchengladbach
www.friedhelmesser.de
Produkt
Glattziegel DOMINO grau-gelb geflammt (Sonderanfertigung)
Firstziegel
Signum
Das Herstellungsverfahren
Die Dachzeigel sind eine Sonderanfertigung. Auf der Basis des ganz normalen Dachziegelrohlings folgt nach der Engobe eine zweite Farbschicht. Danach erfolgt der Brennvorgang, der dem Ziegel seine endgültige Farbe gibt. Für das Objekt Lutherturm wurden über mehrere Monate verschiedene Gelbvarianten und verschiedene Muster als Testbrand produziert, bis gewünschter Farbton und Muster erreicht waren. Die Farbe ist eine Spezialentwicklung des Engobenherstellers und kann auf unterschiedliche Weise aufgesprüht werden, sodass verschiedene Muster entstehen. Dabei werden die Flächenziegel maschinell besprüht, das Zubehör hingegen von Hand.